Wie können dörfliche Strukturen erhalten und ländliches Leben durch ganzheitliche Architekturprojekte gefördert werden? Dieser Frage nahm sich Holztechnologie & Holzbau Studentin Anna Woschitz an und stellte ihr eigenes Heimatdorf im Burgenland ins Zentrum ihrer Forschung. Das Ergebnis: Ein Konzept eines Multifunktionsgebäudes in Holzbauweise, welches lokale Gegebenheiten aufgreift und regionale Baukultur auf kluge Weise neu interpretiert.
Die Landflucht macht Dörfern zu schaffen. Besonders junge Menschen verlassen ihre Heimat, um in Städten zu studieren, bessere Karrieremöglichkeiten zu nutzen oder vielfältige kulturelle Angebote zu genießen. Mit der Abwanderung der Bevölkerung aus ländlichen Gegenden findet oftmals nicht nur ein Niedergang der Infrastruktur statt, sondern auch ein Verfall der lokalen Baukultur, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat und prägend für den Charakter einer ganzen Region sein kann.
Auch in den Dörfern des Burgenlands findet dieser Prozess statt und die Ortskerne sterben aus. Um dies zu verhindern, setzen lokale Initiativen wie „Zukunftsprofil 2030“, zu dem auch Annas Heimatgemeinde Draßmarkt gehört, auf gezielte Fördermaßnahmen und Leitlinien, die eine Dorfaufwertung anstreben. Anna nahm ihre Masterarbeit als Anlass, um den Ortsteil Karl, der viel Leerstand und einen fast unbelebten Ortskern aufweist, durch ein innovatives Gebäudekonzept architektonisch wie kulturell aufzuwerten. Im Ort gibt es zurzeit zwei stillgelegte Gasthäuser und einen stillgelegten Nahversorger, einzig ein mobiler Verkaufsstand am Hauptplatz bietet mehrmals in der Woche die Möglichkeit der Lebensmittelversorgung. Ziel von Annas Arbeit war die Entwicklung eines Gebäudekonzepts, welches auf diese Unterversorgung reagiert, verschiedene Nutzungen möglich macht und gleichzeitig gestalterisch an die lokale Baukultur anknüpft. Dabei handelte es sich nicht um irgendeinen Bestandsbau, sondern um das ehemalige Gasthaus „Korner“, welches eine große Bedeutung für die Bevölkerung von Karl hat und an die nächsten Generationen weitergegeben werden soll. Wichtig war Anna dabei die Nachhaltigkeit der Bauweise: „Es sollte ein Holzbau sein, weil damit ökologischer gebaut werden kann und zudem die Menschen für diese zukunftsfähige Art zu bauen sensibilisiert werden und das Bauen mit Holz attraktiver wird.“
Inspiration für ihr Projekt fand Anna in der bäuerlichen Architektur Vorarlbergs, die besonders für ihre traditionsreiche Holzbaukultur bekannt ist. Die sogenannten Wälderhäuser im Bregenzerwald stehen zwar auch oftmals leer, wenn landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr weitergeführt werden, um die lokale Baukultur zu erhalten und qualitativen Wohnraum zu schaffen werden sie aber oftmals renoviert. Mit anderen Nutzungen, wie beispielsweise als Gastwirtschaft oder Herberge für Touristen bekommen die „Einhöfe“ ein neues Leben. Typisch für das Burgenland ist der „Streckhof“, eine landwirtschaftliche Bauform mit hintereinander angereihten Funktionsgebäuden wie Wohn-, Stall-, und Scheunentrakten. Diese Bauform auf schmalen, länglichen Grundstücken bedingte in den vergangenen Jahrhunderten die für das Bundesland charakteristischen Dorfstrukturen, die sich architektonisch durch Klarheit und Einfachheit auszeichnen. Durch den Verfall dieser Höfe und den Neubau von freistehenden Einfamilienhäusern und zweigeschossigen Wohngebäuden nach städtischem Vorbild, geht das burgenländische Dorfbild mehr und mehr verloren.
Am Anfang von Annas Arbeit stand eine ausgiebige Literaturrecherche zu traditionellen Bauernhäusern in Vorarlberg und Burgenland sowie ein Vergleich der Bauweisen. Dabei sammelte sie auch mehrere burgenländische Referenzprojekte, die den aktuellen Stand des Wissens in Sachen Holzbau wiedergeben als Inspiration für ihr eigenes Vorhaben. Anschließend führte sie eine SWOT-Analyse durch, die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken möglicher Nutzungsformen verdeutlichte und zur langfristigen strategischen Perspektive des Projektes beitrug. Aufbauend auf dieser Theorie und Analyse entwickelte sie ein multifunktionales Gebäudekonzept, bestehend aus dem Bestand sowie einem Neubau in Ständerbauweise, der sich optisch und funktional in das Gesamtgefüge integriert und an die burgenländische Architektur angelehnt ist. Neben reinem Wohnraum ist ein Co-Working Space, ein Gemeindesaal, ein Gasthaus sowie ein Nahversorger mit regionalen Produkten Teil des Konzepts.
Betreut wurde die Abschlussarbeit von Manfred Stieglmeier, Professor in den Studiengängen Smart Building und Smart Buildings in Smart Cities der FH Salzburg, der als erfahrener Architekt Anna mit seinem Wissen unterstützten konnte. Sie hat nicht nur das Bau- und Nutzungskonzept entwickelt, sondern auch alle nötigen Entwurfspläne, Renderings und aufwändige Detailausführungen des Holzbaus erstellt. Zugutekam ihr dabei ihre Vorbildung aus dem Bachelorstudium am Campus Kuchl mit dem Schwerpunkt Holzbau, besonders wenn es um die Wahl der passenden Bauweise und die Entwicklung von Details ging. Mit dem Endergebnis ist sie sehr zufrieden „Das Projekt soll nicht nur als Bauwerk nachhaltig sein, sondern auch kulturelle und gesellschaftliche Bedürfnisse abdecken, die zur langfristigen Stärkung der Region Burgenland beitragen. Gerade in lebenswerten Dörfern und der ländlichen Entwicklung liegen große Chancen für die Zukunft. Jetzt geht es an die Umsetzung.“