Aktuelles
13. April 2021

Stadtentwicklung: Lehren aus der Pandemie

März 2020: Millionen Menschen werden weltweit drastischen Einschränkungen unterworfen, um die Covid-19 Pandemie zu stoppen. Ein Forschungsteam der FH Salzburg vom Forschungsbereich Smart Cities, hat gemeinsam mit Kolleg*innen und Studierenden der Stadtplanung in Frankreich und Polen diese Situation in Echtzeit analysiert. Die zentrale Frage war, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf den öffentlichen Raum haben und welche Empfehlungen für die Stadtentwicklung daraus abgeleitet werden können. Eine zusätzliche Medienanalyse in Österreich ergab weitere Erkenntnisse über die Bedeutung öffentlicher Grünflächen in Krisenzeiten.

Ein Forschungsteam der FH Salzburg ging, mit Kolleg*innen aus Polen und Frankreich, mit Beginn der Pandemie der Frage nach, welche Auswirkungen Lockdowns auf den öffentlichen Raum haben und welche Empfehlungen für die Stadtentwicklung daraus abgeleitet werden können.

Stichwort „Lockdown“: seit März 2020 verbindet die Welt diesen Begriff mit unterschiedlich drastischen Maßnahmen – so auch in Österreich, Polen und Frankreich. In einer empirischen Studie der FH Salzburg, gemeinsam mit der Universität Danzig und der Sorbonne in Paris, untersuchten Forscher*innen mit Hilfe von Studierenden der Stadtplanung im April und Mai 2020 die Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum.

Ihr Ziel war es, die Interaktion zwischen diesen Maßnahmen und dem städtischen Raum in zwei Dimensionen zu erfassen. Auf der einen Seite analysierten sie die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den städtischen Raum und auf die räumlichen Praktiken der Bewohner*innen. Auf der anderen Seite untersuchte das Team die Bedingungen, die die verschiedenen Typen des städtischen und ländlichen Raums für die Bewohner*innen, die die Enge erleben.

„Der Lockdown im vergangenen Jahr ist eine noch nie dagewesene Situation in Europa: Bis jetzt wurden selbst in Kriegszeiten noch nie 24 Stunden am Tag Ausgangssperren verhängt. Das Projekt ist aus dieser Situation heraus entstanden. Für uns in der Lehre stand die Frage im Raum, wie ich in diesen Zeiten das Fach Stadtplanung unterrichten kann. Zusätzlich dazu ein persönliches Interesse daran, was solche Maßnahmen für Stadtplanung in Zukunft vielleicht bedeuten kann“, erklärt Stefan Netsch, Senior Lecturer am Studiengang Smart Building und Smart Cities, der damit das Interesse bei seinen Studierenden weckte.

Öffentliche Grünflächen in Krisenzeiten

Das Paper von Stefan Netsch (FH Salzburg), Izabela Mironowicz (Gdańsk University of Technology) und Anna Geppert (Sorbonne Université) zu dem Thema ist Anfang des Jahres im „URBAN DESIGN International“ Journal (Springer) erschienen und gibt Empfehlungen für die Zukunft aus. Konkret geht es darum, die Fläche in Städten neu zu verteilen, da vor allem öffentliche Grünflächen wieder an Bedeutung gewonnen haben. Länderübergreifend konnte festgestellt werden, dass die Nachfrage nach öffentlichen Grünflächen gestiegen ist. Die empirische Studie soll zu einer Diskussion einladen und eine Empfehlung für die Stadtplaner der Zukunft sein. „Wir müssen uns mehr und mehr mit dem öffentlichen Raum beschäftigen“, fasst Netsch zusammen.

Mediale Aufmerksamkeit für Grünflächen-Verbot

In einem zweiten Schritt untersuchte Stefan Netsch gemeinsam mit Katharina Gugerell von der BOKU Wien, die mediale Berichterstattung über die Schließung öffentlicher Grünflächen während des ersten Lockdowns: “Reflection on the Austrian Newspaper Coverage of the Role and Relevance of Urban Open-and Green-Spaces in Vienna During the First COVID-19 Lockdown in 2020“.

Das Forschungsteam führte eine qualitative Analyse der in Österreichs führenden Zeitungen veröffentlichten Berichte durch. Diese zeigte, dass zwei Themen wiederholt behandelt wurden: Erstens, die Auswirkungen des Zwangs, auf engem Raum zu leben, auf das Wohlbefinden der Stadtbewohner*innen nach der Schließung von Parks und öffentlichen Flächen. Zweitens, die Funktionen von Freiräumen und die Relevanz von Straßenbildern in dichten städtischen Gebieten, in denen es nur wenige Parks gibt.

Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung öffentlicher und grüner Räume für die physische und psychische Gesundheit der Menschen, insbesondere in herausfordernden Situationen, wie z.B. bei Sperrungen.

„Städtische Grünflächen sollten als ein Sektor der kritischen Infrastruktur des Landes betrachtet werden. In Anbetracht der Art und Weise, wie mit öffentlichen Räumen während des Lockdowns umgegangen wurde, wird die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Diskussion und eines Überdenkens der gegenwärtigen Praxis der Stadtplanung, des Wohnungsbaus, der Nachrüstung und der Mobilität deutlich“, fordert Stefan Netsch. „Aus planerischer Sicht ist es von entscheidender Bedeutung, sich mit der Dichte (Bevölkerungsdichte, städtische/bauliche Dichte) und der (Über-)Verdichtung zu befassen: Während höhere Bevölkerungsdichten aus einer Reihe von Gründen sinnvoll sind, müssen sie durch ein geeignetes, qualitativ hochwertiges Netz von Frei- und Grünflächen ergänzt werden, die durch eine geeignete Fußgänger- und Fahrradinfrastruktur verbunden sind“, führt er weiter aus.

Initiativen gibt es bereits: ein Beispiel war die Öffnung von Hauptverkehrsadern für den Radverkehr in Form von Pop-up Radstraßen in vielen europäischen Städten während des Lockdowns. Das Bewusstsein ist also da, für die Stadtplaner*innen der Zukunft gibt es viel zu beachten.

Quellen:

”Space and spatial practices in times of confinement. Evidence from three European countries: Austria, France and Poland” (Journal: URBAN DESIGN International, März 2021)
Autor*innen: Izabela Mironowicz, Stefan Netsch, Anna Geppert
Link: https://link.springer.com/article/10.1057/s41289-021-00158-6

“Reflection on the Austrian Newspaper Coverage of the Role and Relevance of Urban Open-and Green-Spaces in Vienna During the First COVID-19 Lockdown in 2020“ (DISP-The Planning Review, 56:4, 54-63, DOI: 10.1080/02513625.2020.1906051)
Autor*innen: Katharina Gugerell, BOKU, Institut für Landschaftsplanung, Stefan Netsch, FH Salzburg, Studiengang Smart Building
Link: https://www.tandfonline.com/eprint/WKJ6GRNTNVXEECSRGTKS/full?target=10.1080%2F02513625.2020.1906051&