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05. Oktober 2022

Soziale Kohäsion als Extremismusprävention: Was die demokratische Gesellschaft zusammenhält

Es sind große Begriffe, mit denen sich Heiko Berner, Nedžad Moćević und Markus Pausch vom Studiengang Soziale Arbeit/Soziale Innovation im Projekt Rad2Citizen auseinandergesetzt haben. Das Ziel des internationalen Projektes: die Parameter für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft zu erforschen. Die Projektergebnisse liegen nun unter anderem in Form eines Manuals für Personen vor, die im sozialen Bereich tätig sind. Leadpartner war die Region Toulouse Métropole in Frankreich – die Expertise der FH Experten kommt aber auch Städten wie Salzburg zugute.

Leadpartner im europäischen Projekt Rad2Citizen war die Region Toulouse Métropole (©unsplash/DAT_VO)
Leadpartner im europäischen Projekt Rad2Citizen war die Region Toulouse Métropole (©unsplash/DAT_VO)

Soziale Kohäsion gilt in der Demokratie(forschung) als erstrebenswert und als Grundlage für ein friedvolles Miteinander. Sehr vereinfacht gesagt: Ein hoher Grad an sozialem Zusammenhalt verhindert das Aufkommen von Extremismus, wenig sozialer Zusammenhalt – insbesondere auch wo es um Vertrauen in staatliche Institutionen geht – fördert das Aufkommen von Extremismus. Allerdings kann soziale Kohäsion auch Extremismus fördern, nämlich dann, wenn die Gruppe demokratiefeindliche Werte hat. „Daher definieren wir soziale Kohäsion immer im Kontext von gemeinschaftsfördernden, demokratiefreundlichen Werten“, erklärt Heiko Berner den Zugang des Forschungsteams.

Vereinfacht könnte man vermuten, dass Extremismus besonders in ärmeren Vierteln wächst. Eine hohe Arbeitslosigkeit oder ein geringes durchschnittliches Einkommen, würden für einen niedrigeren Grad an sozialer Kohäsion sprechen. Genau diese These widerlegt das europäische Projekt Rad2Citizen. Neben den klassischen statistischen Indikatoren (wie beispielsweise dem Gini-Koeffizient), führten die Forscher*innen qualitative Indikatoren ein, z.B. Interviews mit Einwohner*innen, Sozialarbeiter*innen, der Polizei und politischen Vertreter*innen in den Distrikten in der Großregion Toulouse Métropole, um den Grad an sozialer Kohäsion in Bezug auf Extremismusprävention zu untersuchen.

Soziale Kohäsion: ein neuer Zugang

In einem ersten Schritt untersuchte das Salzburger Team vom Department Angewandte Sozialwissenschaften zwei Gemeinden in der Nähe der französischen Stadt Toulouse, die eine ähnlich hohe Kriminalitätsrate, aber unterschiedlich hohe Einkommenswerte haben. Die Ergebnisse überraschen, wie Heiko Berner zusammenfasst:

„In einem Stadtteil haben die Bewohner*innen einen hohen Grad an Identität mit ihrer Nachbarschaft, was als kohäsionsfördernd und als Ressource gesehen werden kann – trotz einer ökonomisch schwierigen Situation. In einem anderen Stadtteil ist es vielleicht eher die Stadtplanung, die unerwartete Entwicklungen in einem Stadtteil nicht auffangen kann, weil zum Beispiel ein Zentrum fehlt, in dem sich Einwohner*innen treffen können. Darunter kann – in diesem Beispiel – eine gemeinsame Identität mit dem Wohnumfeld leiden.“

Mit diesen Erkenntnissen erarbeitete das Team in der Folge konkrete soziale Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus für relevante Stakeholder.

Trainings zur Weiterentwicklung von sozialen Maßnahmen gegen Extremismus

Vom Team der FH Salzburg war Nedžad Moćević federführend bei der Entwicklung und Umsetzung von Trainings für Praktiker*innen aus dem sozialen Bereich. Wegen Corona wurden die Trainings überwiegend online abgehalten, was den Vorteil hatte, dass Teilnehmer*innen aus ganz Europa teilnehmen konnten. In der Region Toulouse Métropole wurden die entwickelten Maßnahmen schließlich in Begleitung der Salzburger Forscher an lokale Situationen angepasst. „Von unseren Methoden und Erfahrungen fühlten sie sich einerseits bestätigt und lernten andererseits Neues dazu“, fast Nedžad Moćević das Feedback zusammen.

Als ein wichtiges Ergebnis des Projekts gilt auch ein Manual, das Praktiker*innen beim Entwickeln eines Bewusstseins über aufkommende Radikalisierung unterstützt und ihnen konkrete Methoden an die Hand legt. Es ist in den „Projektsprachen" Französisch, Griechisch und Deutsch erschienen.

    Internationale Expertise für Salzburg

    An den Trainings, die gemeinsam mit den Projektpartner*innen in Griechenland, Frankreich und Spanien erarbeitet wurden, nahmen auch Mitarbeiter*innen verschiedener sozialer Träger in Salzburg teil. Auch die Studierenden im Masterstudiengang Soziale Innovation, die Großteils berufsbegleitend studieren, profitierten von der Expertise und konnten die Trainings besuchen. Speziell für Salzburg organisierten Heiko Berner und Nedžad Moćević zusätzlich ein Training für das Streusalz-Team der Stadt, bei dem es um Diskriminierung und den Umgang damit ging.

    Alexanda Schmidt, Team Vielfalt

    Alexandra Schmidt, zuständig für Frauen im Team Vielfalt der Stadt Salzburg, freut sich über die Einbeziehung in das internationale Projekt:

    „Unsere Arbeit im Gewaltschutz hat direkt von RAD2Citizen profitiert: Nach französischem Vorbild gibt es jetzt auch in der Stadt Salzburg einen Gewaltbarometer zur Einschätzung von häuslicher Gewalt. Gerade wird er in die wichtigsten Fremdsprachen übersetzt, auch eine Version für Kinder ist geplant.“

    Für den europäisch übergreifenden Massive open online course (MOOC) des Projekts haben neben dem Forschungsteam der FH Salzburg – Markus Pausch zum Thema Polarisierung und Heiko Berner zum Thema Neue Rechte und Österreichische Strategie Extremismusprävention – das Team Vielfalt sowie Pamela Heil vom Verein Spektrum und Peter Wieser, Bewährungshilfe/Neustart, Videobeiträge zu den Themen rund um Radikalisierung beigesteuert. Geplant ist, den Kurs dauerhaft online und frei zur Verfügung zu stellen.

    Über RAD2Citizen

    In dem europäischen Projekt Rad2Citizen, gefördert vom Internal Security Fund Police der Europäischen Union, arbeitete das Forschungsteam der FH Salzburg mit Teams aus Frankreich, Griechenland und Spanien zusammen. Sie untersuchten anhand der französischen Region Toulouse Métropole, welche Faktoren sozialen Zusammenhalt und die Demokratie stärken. Neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitete das Team auch Trainings und ein Handbuch mit konkreten Projektvorschlägen für die alltägliche Arbeit im sozialen Bereich.