Die Geburtshilfe in Pforzheim hat sich in den vergangenen Jahren einem Konzept verschrieben, dass die Salutophysiologie in den Mittelpunkt stellt. Es setzt auf die Ressourcen der Schwangeren und reduziert Interventionen. Das Wissen dazu haben viele im Team im Masterstudium „Salutophysiologie für Hebammen“ an der FH Salzburg erworben – zwischen Baden-Württemberg und Salzburg gibt es einen regen Ausbildungsverkehr.
Seit der ersten Auflage des entwickelten Masterstudiums „Salutophysiologie für Hebammen“ an der FH Salzburg hat es keinen Studiengang gegeben, an dem nicht auch Geburtshelferinnen aus der Helios Klinik Pforzheim sitzen. „Wir haben noch jeden Masterstudiengang infiltriert“, scherzt Corina Scheurer.
Sie war 2011 die erste Hebamme aus der deutschen Klinik, die in Salzburg ihren Master gemacht macht. Es war wie ein Zündfunke, der übergesprungen ist. Der andere Blick auf Schwangerschaft und Geburt, der im Rahmen des Masterstudiums Salutophysiologie vermittelt wird, hat in Pforzheim viel verändert. „Ich habe damals in einer Hebammenzeitschrift ein Inserat des neuen Masterprogramms gesehen, es hat mich sofort angesprochen“, erzählt Scheurer. Sie stand nach mehr als zehn Jahren in der Praxis gerade vor der Frage, wohin sie sich als Hebamme weiterentwickeln wollte. Die oft stark technisierte Geburtshilfe mit ihren vielen Kaiserschnitten, Narkosen oder Geburtseinleitungen hatte sich schon lange von dem entfernt, was ihr und ihren Kolleginnen in ihrem Beruf wichtig war.
Der von der Hebamme Verena Schmid entwickelte Ansatz der Salutophysiologie war genau das, wonach Scheurer gesucht hatte: Er stellt die Ressourcen in den Mittelpunkt, die jede Frau selbst hat, um gut durch Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit zu kommen.
„In der Hebammenausbildung wird sehr stark auf das geschaut, was alles passieren kann. Die Salutophysiologie nimmt das in den Blick, was gut ist und wie man diese Kräfte stärker aktivieren kann“, beschreibt Scheurer, seit 2006 stellvertretende Leiterin des Kreißsaals in Pforzheim, den Perspektivenwechsel.
Ihre Begeisterung wirkte ansteckend: Mittlerweile haben sieben Hebammenkolleginnen aus ihrem Team die Ausbildung in Salzburg absolviert. Romy Hartmann, die Stationsleiterin des Kreißsaals, war die dritte Kollegin, die sich für das Pendeln nach Salzburg entschied. „Die Begeisterung von Corina war ansteckend“, sagt sie. Hartmann begann 2015 mit dem berufsbegleitenden Master. Auch bei ihr war nach 24 Jahren in dem Beruf die Zeit reif für einen neuen Blick auf die Begleitung und Unterstützung der schwangeren Frauen.
Im Team haben die Hebammen in der Klinik Pforzheim viel bewegt. Es ist in der Geburtshilfe ein Zentrum für Salutophysiologie entstanden, das die Hinwendung auf die Stärken der werdenden Eltern tagtäglich lebt und die Frauen in ihren Kompetenzen stützt und stärkt. „Es gab keine Vorbilder, wir mussten den Weg selbst finden“, erzählt Hartmann, die seit 2005 die Station leitet: „Anfangs war viel Überzeugungsarbeit – auch bei den Ärzt*innen – notwendig, aber es hat sich ausgezahlt.“
„Die Saat ist voll aufgegangen“, sagen Hartmann und Scheurer mit Stolz. Die Rate der Kaiserschnitte sank in Pforzheim von 32 Prozent im Jahr 2012 auf 21 Prozent im Jahr 2019, die Zahl der Periduralanästhesien von 40 auf acht Prozent. Und das, obwohl Pforzheim als Level-1-Klinik auch risikoreichere Schwangerschaften betreut.
Die Hebammen geben ihr Wissen in Fortbildungen an Kolleginnen im Umkreis weiter. Und Pforzheim ist auch bei den Salzburger Studierenden mittlerweile eine gefragte Adresse: Viele angehende Hebammen machen in der Klinik ihr Praktikum – ein reger Austausch, der immer von der gemeinsamen Wertschätzung getragen ist.
Die Zeit in Salzburg möchten beide nicht missen – auch wenn es sehr anstrengend war, neben dem Beruf immer wieder für eine Ausbildungswoche nach Salzburg zu pendeln und die schriftlichen Hausarbeiten zu erledigen. „Ich war einmal am Christkindlmarkt, aber sonst habe ich von Salzburg nichts gesehen. Nach einem Unterrichtstag bist du viel zu geschafft, um noch etwas zu unternehmen“, erzählen die beiden Hebammen unisono. Dafür haben sie es umso mehr genossen, in Puch auf dem Lacknerhof zu wohnen und nach einem anstrengenden Unterrichtstag von der Gastgeberfamilie liebevoll versorgt worden zu sein.